Verdi by Peter Härtling
Autor:Peter Härtling [Härtling, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-462-30983-6
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag
veröffentlicht: 2015-08-18T16:00:00+00:00
VIII.
Parlante
Der Junge erschien unangemeldet, geriet an der Haustür mit Peppina aneinander: Wie er darauf komme, den Maestro zu solch unpassender Zeit belästigen zu wollen?
Der junge Mann blieb hartnäckig: Aber ich will den Maestro nicht belästigen.
Peppina hielt stand. Das sagst du und hast überhaupt keine Ahnung, wie der Maestro belästigt wird, von Ratsuchenden, die sich als Bewunderer ausgeben.
Der Junge wagte einen winzigen Schritt auf Peppina zu, eine Bewegung, die seinen Ernst und seine Ausdauer wiedergab. Ich bin nicht so einer, erklärte er mit einer tiefer werdenden Stimme, ich bin Musiker, ich komme aus Turin, ich habe im Orchester der Scala beim »Otello« das Cello gespielt.
Peppina gab nicht auf, fing aber an zu wanken: Na ja, das Cello nicht, du bist einer der Cellisten gewesen. Aber ich erinnere mich nicht an dich.
Der Junge grinste verlegen und zog die Schultern hoch: Ich bin auch nicht so wichtig. Ich spiele in Turin nicht mehr nur das Cello. Ich darf jetzt hin und wieder dirigieren.
Worauf Peppina ihn noch einmal – verblüfft – musterte, als sei er durch diesen einen Satz ein anderer geworden: Du, du dirigierst in Turin? Das ist uns neu.
Am Abend nach dem Besuch erklärte sie Verdi, der ihr ohnehin vorwarf, den jungen Mann eingeschüchtert zu haben, dass dieser noch nicht ganz erwachsene Arturo ihr Herz erweicht habe, nicht weil er wie viele Bewunderer schlicht und einfach aufdringlich gewesen sei, sondern weil sie ihn am Ende ihres Türstehersermons als Musiker erkannt und erspürt habe, seine Glut und sein Selbstbewusstsein.
Peppina versuchte, Verdi vor allen Störungen und Aufregungen zu schützen. Besonders erzürnte ihn, dass Ricordi »und andere« seine Vergangenheit in Jubiläen ins Bewusstsein einer anderen Generation rufen wollten – »als wäre ich schon tot und halb vergessen«. Zum fünfzigsten Jahrestag der Scala-Premiere seiner ersten Oper »Oberto« planten sie nicht nur eine Wiederaufführung, sondern einen Abend mit den bekanntesten und beliebtesten Stücken des Meisters, was den vor Entsetzen schüttelte: ein Potpourri für Schwerhörige, eine Beleidigung für den Urheber und eine Belästigung für die Künstler. Peppina bewunderte ihn in seiner Wut und fürchtete zugleich, sie könnte seiner Gesundheit schaden.
Sie hatte Toscanini eingelassen. Er hielt sich nicht lange auf, doch er blieb Verdi im Gedächtnis. Eben weil er ihn vorher, den blutjungen Cellisten im Scala-Orchester, ganz und gar vergessen hatte und es ihm nun peinlich war. Sie saßen sich gegenüber, der Junge seine auffallend großen Hände auf den Knien und der Alte demonstrativ interessiert nach vorn gebeugt.
Ob er auch in Turin im Orchester tätig sei?
Schon eine Weile. Und das Cello spiele er von Kind auf. Aber er habe sich vorgenommen zu dirigieren, weil das Orchester es wünsche.
Da müsse ja etwas dran sein, reagierte Verdi erstaunt. Dann kann ich erwarten, dass Sie auch eine meiner Opern dirigieren werden, in Turin oder anderswo.
Was danach geschah und auf welche Weise der junge, aufgeregte Lockenkopf aus Turin sich verabschiedete, erzählte Peppina Giulio vergnügt und ungefragt, während Verdi gepeinigt schwieg: Stellen Sie sich vor, Toscanini kam auf seine Mama zu sprechen, die Verdi »schon immer« bewundere, und bat ihn, ihm lange die Hand
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